Offener Brief an Dr. Norbert Lammert

Ein schlechter Dienst am Parlamentarismus

Auf die von Union und SPD in der gestrigen Sitzung des Bundestages beschlossene Änderung der Geschäftsordnung reagiert der Kreisverband Goslar mit einem offenen Brief an Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert.

Goslar, 02.06.2017

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident!

Sie wurden am 24. Oktober 2015 für Ihr „engagiertes Eintreten für eine wehrhafte Demokratie und einen fairen und lebendigen Parlamentarismus“ mit dem „Deutschen Staatsbürgerpreis der Staatsbürgerlichen Stiftung Bad Harzburg e. V.“ ausgezeichnet.
Wir, die Alternative für Deutschland, haben uns damals mit einer Grußadresse und in einem persönlichen Gespräch im Rahmen des Festaktes der Begründung für diese Auszeichnung angeschlossen.
Umso unverständlicher ist uns und all jenen Bürgerinnen und Bürgern, die die AfD mit ihrem bisherigen Vertrauensbeweisen als auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung verankert sehen, die durch Sie veranlasste Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.
Ziel dieser Neuregelung hinsichtlich der Alterspräsidentschaft ist, für den Fall des Einzugs der Alternative für Deutschland in den Bundestag, dass die Leitung der konstituierenden Sitzung des Parlaments nicht durch einen Abgeordneten der AfD erfolgt.
Dies ist eine kleingeistige Sichtweise und dem Hohen Hause nicht würdig.
Dass Sie damit auch jene andersdenkenden Staatsbürger in unserem Lande diskreditieren, die der AfD ihr Vertrauen geben und ihr eventuell den Einzug in den Deutschen Bundestag ermöglichen, sollte Ihnen eigentlich bewusst sein.
„Wehrhafte Demokratie“, Herr Bundestagspräsident, sieht anders aus. Sie lassen den Respekt vor dem Staatsbürger als Wähler vermissen. Ihre Handlungsweise ist von Ratlosigkeit gekennzeichnet und Ausdruck von Versäumnissen, die auch Sie sich zuschreiben lassen müssen. Schon einmal sind Sie diesbezüglich gescheitert!
Als aus dem Deutschen Bundestag ausscheidendes Mitglied sollte man seinem Werk ein gutes Ende setzen, indem man sich eines parteipolitischen Missbrauchs enthält und nicht der Respektlosigkeit einer Parteivorsitzenden anschließt und Traditionen schleift.
Vom Parlamentspräsidenten erwarten wir eine Initiative zum fairen Umgang mit politisch Andersdenkenden. So aber wird der Diskriminierung einer demokratischen Partei Vorschub geleistet, die Zerstörung von Sachen bis hin zu Morddrohungen quasi konkludent geduldet. Auch diesbezügliche Unterlassung begründet Verantwortung.
Unserem Parlamentarismus wurde durch Sie ein schlechter Dienst erwiesen.
Die Intention der verleihenden Stiftung gründet sich „in der Erkenntnis, dass die Bürger unseres Landes zur Aufgabenlösung sachgerechte Antworten und Vorschläge erwarten, welche nicht von Parteilichkeit und Gruppeninteressen diktiert sind, …“, wie es in den Zielen und Aufgaben der Stiftung lautet. „Die Förderung von Toleranz“ und „die Stärkung der Demokratie“ sowie dem Entgegenwirken von Gleichgültigkeit, Politikmüdigkeit und „Misstrauen gegenüber politischen Entscheidungsträgern“ sind Schwerpunkte der Stiftungsziele.
Diesem Anspruch, Herr Dr. Lammert, werden Sie nicht mehr gerecht.
Die Rückgabe der Auszeichnung bzw. Aberkennung der Verleihung ist unseres Erachtens ein unabdingbares Gebot.
Hochachtungsvoll

Im Namen des Kreisvorstands GOSLAR

Frank Schmidt
Vorsitzender

weiterführende Links

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-06/afd-bundestag-alterspraesident

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-04/bundestag-alterspraesident-regelung-abstimmung-afd-dienstzeit